Dr’in Grit Bürgow und Dr’in Anja Steglich über nachhaltige Kreislaufstädte

25. April 2022

Porträt Dr’in Grit Bürgow und Dr’in Anja Steglich

Dr’in Grit Bürgow und Dr’in Anja Steglich, Projekt ROOF WATER-FARM

Foto: Dr’in Grit Bürgow
Grit Bürgow

Dr’in Grit Bürgow

Umwelt und Nachhaltigkeit

Anja Steglich

Dr’in Anja Steglich

Umwelt und Nachhaltigkeit


Wie der nachhaltige Umbau zur Kreislaufstadt im Kontext von Wasser und urbaner Nahrungsmittelproduktion gelingen kann, zeigt das Projekt ROOF WATER-FARM. Hier geht es nicht nur ums Gärtnern, sondern auch um die hygienisch sichere Nutzung von dezentral gereinigtem Abwasser in Verbindung mit der Produktion von Nahrungsmitteln. Frischer Fisch und frisches Gemüse direkt vom Dach, produziert mit aufbereitetem Wasser aus dem Gebäude ist die Vision von ROOF WATER-FARM. Dabei kommen Hydroponik und Aquaponik als gebäudeintegrierbare, wasserbasierte Farming-Strategien zum Einsatz.

Im Interview berichten die Initiatorinnen Dr’in Grit Bürgow und Dr’in Anja Steglich über das innovative Projekt und ihre Vision einer nachhaltigen Kreislaufstadt. 

Frau Dr’in Bürgow, Frau Dr’in Steglich, erzählen Sie uns doch bitte kurz etwas zu dem Projekt ROOF WATER-FARM. Um was geht es bei dem Projekt und was möchten Sie damit erreichen?

Grit Bürgow | Anja Steglich: ROOF WATER-FARM zeigt, wie mit aufbereitetem Wasser und Nährstoffen aus Gebäuden in Dachgewächshäusern Gemüse und Fische produziert werden können. Dabei geht es darum, die Aufbereitung und Wiedernutzung von städtischem Trinkwasser, Abwasser und Regenwasser neu zu gestalten und Siedlungswasserwirtschaft und urbane Nahrungsmittelproduktion mehr als bisher zusammenzubringen. Hinter dem Projekt steht die Vision: Was wäre, wenn Häuser bis hin zu ganzen Stadtquartieren kein Abwasser mehr produzieren, sondern stattdessen frisches Wasser und Nährstoffe für das Farming auf dem Dach, am Gebäude, im Freiraum? ROOF steht dabei als Synonym für das Gebäude und für Gebäudeoberflächen wie das DACH. WATER-FARMing steht für eine wasser-basierte Farmwirtschaft in Leichtbauweise. Die beiden Anbauformen sind zum einen die Aquaponik als Kombination von Zucht von Fischen oder auch anderen Wassertieren (z.B. Muscheln) mit Pflanzen. Zum anderen die Hydroponik als wasserkreislaufbasierte Pflanzenzucht, die horizontal und vertikal funktioniert und ca. 10-15mal höhere Erträge pro Fläche erwirtschaften kann.

ROOF WATER-FARM wurde von 2013-2017 als Pilotprojekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Welche zentralen Ergebnisse konnten Sie erzielen?

Grit Bürgow | Anja Steglich: Mit ROOF WATER-FARM konnten wir zeigen, dass ein Kreislaufsystem, bestehend aus einem gebäudeintegrierbaren (Ab-)Wasserrecycling und einem Farming-Konzept – bestehend aus Aquaponik und Hydroponik – funktioniert. Das mittels einer rein biologisch-mechanischen Aufbereitungsanlage gereinigte Grauwasser (Wasser aus Duschen, Badewannen, Waschbecken und Küchen) ist hygienisch einwandfrei und kann anschließend zur dezentralen Produktion von Betriebswasser für Gebäudezwecke (Spülen, Waschen) und für die Versorgung von Fischen und zur Bewässerung von Pflanzen genutzt werden. Die entstehenden Produkte, also Fische und Pflanzen, sind nicht nur essbar, sondern auch von höchster Qualität. Mit der Pilotanlage zur Produktion von NPK-Flüssigdünger aus Schwarzwasser (Toilettenabwasser) konnten wir zeigen, dass dieser Flüssigdünger als urbaner Dünger unbedenklich verwendbar ist. Die Herausforderungen liegen hier in der Wirtschaftlichkeit sowie der Genehmigung und Zulassung.
Wichtig ist natürlich die Übertragbarkeit von ROOF WATER-FARM. Dafür haben wir Planungswerkzeuge entwickelt, beispielsweise Gebäudepässe für gängige Typologien wie Wohnungsbauten, Bildungsbauten, Hotel- oder Gewerbebauten. Ebenso Netzwerkpläne, mit denen beispielhaft ein kreislauforientierter Stadtumbau, inklusive dessen Machbarkeit und Übertragbarkeit, dargestellt wird. Alle Ergebnisse sind auf der Website des Projekts www.roofwaterfarm.com dargestellt. Dort gibt es auch eine Toolbox mit nützlichen Informationen zur Anwendung und Weiterentwicklung der ROOF WATER-FARM-Technologie.

Wie ging es nach der Pilotförderung durch das BMBF weiter?

Ansicht eines Hydrotower in einem Gewächshaus

Hydrotower

Foto: Dr’in Grit Bürgow

Grit Bürgow: ROOF WATER-FARM ist inzwischen ein Reallabor. Es fand auch Eingang in die Hochschullehre, vor allem im Bereich Urban Design, Stadt- und Landschaftsgestaltung. Nach erfolgreichem Abschluss der Pilotforschung konnte eine zweijährige Projektwerkstatt akquiriert werden, die ROOF WATER-FARM tu projects mit Studierenden aus verschiedensten Disziplinen von Architektur, Garten- und Maschinenbau bis hin zur Philosophie. Parallel konnte ich das BMBF-Folge-Forschungsprojekt mit akquirieren, in das das TU-Teilprojekt „Reallabor Mobile Blau-Grüne Infrastruktur“ integriert werden konnte. In diesem Projekt wurde das ROOF WATER-FARM-Konzept mobil weiterentwickelt. Für die Beachvolleyballanlage Beach 61 in Berlin-Schöneberg entwickelte ich gemeinsam mit Studierenden der Projektwerkstatt ROOF WATER-FARM den „Shower-Tower 61“. Dieser Vertikalfarm-Prototyp wird mit aufbereitetem Duschwasser der Sportanlage bewässert und produzierte in den letzen beiden Jahren schon erfolgreich und hochproduktiv Salate, Kräuter und essbare Blüten, die inzwischen in der Beach Bar und im Bistro lokal verköstigt werden.

Anja Steglich: Seit zwei Jahren entwickle und koordiniere ich die StadtManufaktur Berlin, das Reallaborzentrum der TU Berlin. ROOF WATER-FARM ist hier als Reallabor integriert und ein gutes Beispiel für langfristige Kooperationen zwischen verschiedenen Disziplinen, für die Entwicklung von gestalterischen Fragestellungen und robusten Lösungsansätzen zwischen Gesellschaft und Wissenschaft und für transformative Forschung. Gemeinsam mit anderen Reallaboren erarbeiten wir Transformationswissen für den Wandel von Infrastruktur im urbanen und räumlichen Kontext. Unsere Workshops und Technologien sowie unsere Experimente verändern die Wahrnehmung und Vorstellung von Materialität, Ernährung, Klimaresilienz und Alltag in urbanen Räumen. Sie machen spürbar, was wir bewirken können, welche Flüsse und Ströme die Stadt formen und wie wir damit verbunden sind. Wir kooperieren mit vielen Projekten, wir zeigen Technologien und erzählen auch sehr oft die Geschichte und berichten über die immer wieder spannende Eigendynamik des Projektes. Ein Zitat, das uns begleitet, seitdem wir begonnen haben – es war Kafka im Original – ist: „Wege entstehen, wenn man sie geht.“ Das machen wir bis heute, vielleicht tanzen wir ja sogar (lacht).  

Was hat Sie damals dazu bewogen, dieses Projekt zu realisieren?

Grit Bürgow: Ich bin eine „Wasserfrau“ und Landschaftsgestalterin, die schon immer das Bedürfnis hatte, mehr Natur in die Stadt zu bringen. Ich hatte das Glück, von 1998-1999 in einem europäischen Pilotgewächshaus mit angeschlossener dezentraler Abwasseraufbereitung auf dem Campus einer Volkshochschule in Schweden – der Stensund Wastewater Aquaculture – mitzuarbeiten. Drei Jahre später gründete ich aquatectura – studio für regenerative Landschaften. Als ich 2011 gemeinsam mit meiner Kollegin Anja Steglich die INIS-Ausschreibung vom BMBF zum Umbau von Wasserinfrastrukturen fand, da sagten wir: „Da machen wir mit!“. Durch meine PhD-Forschung zu Urbaner Aquakultur und blau-grünen Infrastrukturen war auch genügend „Themenstoff“ vorhanden.

Anja Steglich: Ich bin Landschaftsgestalterin und liebe Tanz, Bühnenbild und Bewegung. Nach Studium und Lehre in Landschaftsgestaltung und räumlicher Planung in Berlin und Brasilien hatte ich mein Studio für Landschaftschoreographie gegründet, entwickelte Bühnenbilder und forschte im Kontext von Teilhabe und Ko-Produktion. Das war die ideale Grundlage für das Projekt ROOF WATER-FARM: Wir legten schon in der Projektentwicklung Themenstränge wie Teilhabe und Kommunikation zwischen Wissenschaft und Kunst an. Außerdem war klar, dass wir zwischen Disziplinen und Gewerken würden vermitteln müssen, etwas, was wir beide besonders gern machen – wir sind Grenzgängerinnen und visionieren auch gern.

Abwasseraufbereitungstechnologie mit Nahrungsmittelproduktion zu verknüpfen ist für die Stadt der Zukunft mit Sicherheit von großer Bedeutung. Wie groß ist das Interesse an ROOF WATER-FARM?

Grit Bürgow: Das Interesse ist groß, es gibt Kontakte zu Projektentwicklern und Wohnungsgenossenschaften. Gemeinsam mit der EWG Pankow haben wir den Innovationspreis BBU-ZukunftsAward 2020 des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. gewonnen. Die EWG realisiert nach dem ROOF WATER-FARM-Konzept einen Wohnungsneubau in Berlin. In der Phase 1 wurden im Jahr 2021 40 Wohneinheiten mit doppeltem Wasserleitungsnetz gebaut. Die gebäudeintegrierte Grauwasseraufbereitung dient dem Recycling von Betriebswasser und Energie. In der nächsten Bauphase soll eine ROOF WATER-FARM auf dem Dach des Gemeinschaftshauses gemeinsam mit den neuen Bewohnerinnen und Bewohnern entwickelt werden. Diesbezüglich sind Workshops in Planung, um Bedarfe, Wünsche, Gestaltungsmöglichkeiten gemeinsam auszuloten.

Anja Steglich: Es gibt so viele verschiedene Themenbereiche, die sich in ROOF WATER-FARM entfalten: Ernährungsdiskurse und Bildung für Nachhaltige Entwicklung, Infrastrukturentwicklung, Urbane Landwirtschaft, Qualitäten und Wege des Wassers, Nachverdichtung und Erfahrbarkeit von Technologie. Diese Liste ließe sich weiter fortsetzen. Ich finde, diese Bereiche sind genauso wichtig wie die der technischen Skalierung und Übertragbarkeit. Wir müssen uns mit diesen globalen Fragestellungen auseinandersetzen, die viele Menschen ebenso beschäftigen wie uns. Die entwickelten Technologien sind so formbar und modular, dass sie Anwender*innen inspirieren, okkupiert und verändert werden können und auf diese Weise auch irgendwie zwischen den Maßstäben wandern. Zur Übertragbarkeit gehört auch, das Potential des Projektes zu zeigen: Wie kann transformative Forschung aussehen und wie kann sich der Transfer von Forschungsergebnissen gut gestalten – das haben wir sehr gut deutlich gemacht und entwickeln das auch immer weiter. 

Schilffeld vor einem Stadthaus
Foto: Dr’in Grit Bürgow

Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft unserer Städte aus? Welche Maßnahmen müssen wir beschreiten, damit unsere Städte zukunftsfähig werden?

Grit Bürgow | Anja Steglich: Lebendig und regenerativ sind in diesem Zusammenhang die zentralen Stichworte. Es ist an der Zeit, dass wir Flächen recyclen und die StadtNatur erhalten beziehungsweise regenerieren. Wir brauchen Biodiversität, Pflanzen und Bäume, die unsere Luft zum Atmen produzieren, Feinstaub filtern und das städtische Klima angenehmer machen. Unsere Alltagsinfrastrukturen sollten in die Nachbarschaft integriert werden, damit wir eine urbane Kreislaufwirtschaft entwickeln, die Ressourcen spart und nachhaltig ist. Was wir noch brauchen, sind andere Mobilitätsformen und eine Stadt der kurzen Wege sowie autofreie Innenstädte. Und wir brauchen leistbaren Wohnraum für alle und Kunst und Kultur als gestalterische Partner der Stadtentwicklung.

Herzlichen Dank für das Interview, Frau Dr’in Bürgow und Frau Dr’in Steglich!

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