Interview mit Charlotte Werth, Designerin an der Schnittstelle von Textil- und Biodesign

7. November 2023

Charlotte Werth färbt einen Stoff ein
Foto: Paul Cochrane Photography
Charlotte Werth

Charlotte Werth

Design und Kultur


Kann es eine nachhaltige Modebranche geben? Ja, sagt Charlotte Werth, Designerin an der Schnittstelle von Textil- und Biodesign. Und sie leistet einen grundlegenden Beitrag auf dem Weg dorthin, indem sie nachhaltige Methoden der Stofffärbung erforscht und auch direkt die technischen Geräte dafür entwickelt.

Im Interview spricht Charlotte Werth über pigmentproduzierende Lebewesen, den Status quo des Umweltschutzes in der Modeindustrie und kuriose Färbetechniken.

Frau Werth, Sie haben Integrated Design in Köln und London studiert – und beschäftigen sich mit Bakterien. Das hat auf den ersten Blick nicht besonders viel miteinander zu tun. Wie kam es dazu?

Auf das Färben von Textilien mit Bakterien bin ich während meines Auslandssemesters an der Designskolen Kolding in Dänemark gestoßen. Bei der Recherche für ein nachhaltiges Modeprojekt stieß ich in der Arte Mediathek auf eine 5-minütige Reportage über die französische Firma PILI, die Pigmente aus Bakterien herstellt. Ich weiß nicht, ob es die schönen Videoaufnahmen der Pigmente waren oder die Kuriosität der pigmentproduzierenden Mikroorganismen - ich war sofort begeistert und wollte diese Farben und Muster auf Textilien und Kleidungsstücken festhalten. Ich fand heraus, dass es bereits einige Designstudios gab, die damit experimentierten und entwarfen, und stellte den Kontakt zu Prof. Danielle Wilde her, die mir die Grundlagen des Färbens und die Arbeit im Labor beibrachte.

Das Bakterium, mit dem ich am meisten und am liebsten arbeite, heißt Janthinobacterium lividum. Es kommt in der Natur im Boden oder auf dem Rücken des Rotrückensalamanders vor.

Vielen Menschen sind Bakterien vor allem als Krankheitserreger bekannt. Welche Art von Bakterien interessiert Sie? 

Das Bakterium, mit dem ich am meisten und am liebsten arbeite, heißt Janthinobacterium lividum. Es kommt in der Natur im Boden oder auf dem Rücken des Rotrückensalamanders vor. Es hat antibakterielle, antimykotische und antivirale Eigenschaften und wird in der Medizin zur Herstellung von Antibiotika verwendet. Es hat also keine schädlichen Eigenschaften für den Menschen, im Gegenteil. Industriell hergestellte Textilfarben enthalten Chemikalien und Schwermetalle, die die Umwelt belasten und erhebliche Gesundheitsrisiken bergen. Der Status quo ist weitaus schädlicher als die untersuchten Bakterien, die sich hervorragend als Alternative zum Färben von Textilien eignen.

Wie kann ich mir einen bakteriellen Färbeprozess vorstellen? Was sind die Vorteile gegenüber anderen Färbeprozessen? 

Für meinen Designprozess lasse ich die Bakterien direkt auf dem Textil wachsen. Dazu bereite ich das Textil durch Falten und Nähen so vor, wie ich es gefärbt haben möchte. Durch das Falten kann ich das Endergebnis zwar vorbestimmen, aber nicht zu 100 Prozent kontrollieren. So entsteht ein von mir und den Mikroorganismen gemeinsam gestaltetes Textil. Das Färben von Textilien mit Bakterien hat viele Vorteile für die Umwelt. Es verbraucht viel weniger Wasser im Färbeprozess, es werden keine schädlichen Chemikalien oder Schwermetalle verwendet und es braucht keine Pflege. Dies ist z.B. der Fall beim Pflanzenfärben, das ebenfalls umweltfreundlich ist.

Mir ist es besonders wichtig, gemeinsam mit den Bakterien zu färben und zu gestalten und nicht nur einen Produktionsprozess nachhaltiger zu machen. Nur so können einzigartige und ästhetische Ergebnisse erzielt werden.

Während Ihres Masterstudiums in London haben Sie eine Färbemaschine entwickelt. Wie funktioniert die Maschine und was macht sie innovativ?

Für meine Masterarbeit MA Material Futures habe ich am ersten Prototyp einer bakteriellen Färbemaschine gearbeitet. Diese zieht eine Textilbahn durch Färbebäder, um Streifen und Farbverläufe zu erzeugen. Eine Kammer am Anfang und am Ende des Prozesses sterilisiert das Textil, so dass keine Kontamination entsteht. Mir ist es besonders wichtig, gemeinsam mit den Bakterien zu färben und zu gestalten und nicht nur einen Produktionsprozess nachhaltiger zu machen. Nur so können einzigartige und ästhetische Ergebnisse erzielt werden.

Abbilderung der Bacteria Dye Machine

Bakterielle Färbemaschine

Foto: Paul Cochrane Photography

Sie forschen nun seit mittlerweile sechs Jahren an nachhaltigen Färbemöglichkeiten. Wie groß ist das Interesse in der Modewelt an nachhaltigen Herstellungsmethoden? Findet langsam ein Umdenken auch bei großen Marken statt oder ist es ein Nischenthema?

Nachhaltige Produktionsprozesse und Materialinnovationen werden in der Modewelt immer populärer. Es werden immer mehr Start-ups gegründet, die sich auf alternative Produktionsverfahren spezialisieren. Und gleichzeitig sehen Luxusmodemarken die einzigartige Schönheit und Besonderheit der neuen Handwerkskunst. Viele junge Designer*innen implementieren nachhaltige und regenerative Methoden in ihre Arbeit. Größere Lifestyle-Marken wenden sich an diese Designer*innen, um einen Wandel in den Herstellungsverfahren zu erzielen. Die Materialproduktion muss nun unterstützt werden, um durch eine Skalierung der Produkte eine höhere Umweltverträglichkeit zu erreichen.

Wenn Sie einen Blick in die Glaskugel werfen könntest: Was würden Sie sich wünschen, wie die Modeindustrie in 10 Jahren aufgestellt ist?

Ich wünsche mir, dass nachhaltige Werte in die Basis der Modeausbildung integriert werden, dass noch mehr Kollaborationen zwischen Designer*innen, Wissenschaftler*innen und Künstler*innen entstehen und dass die daraus resultierenden Innovationen gefördert werden. Außerdem bin ich gespannt, welche weiteren Materialexperimente entstehen werden.

Lieben Dank für das Interview, Frau Werth!

Gefärbte Stoffe
Foto: Paul Cochrane Photography

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