Dr’in Pia Spangenberger über Serious Games und die Chancen digitaler Lernanwendungen

21. Juni 2022

Pia Spangenberger auf einem Podium
Foto: BMBF/Alexandra Roth
Pia Spangenberger

Dr’in Pia Spangenberger

Bildung und Soziales


Das innovative Computerspiel „Serena Supergreen und der abgebrochene Flügel" macht Mädchen (und Jungs) Lust auf naturwissenschaftlich-technische Berufe im Bereich der Erneuerbaren Energien. Ein ambitioniertes und notwendiges Vorhaben, denn im naturwissenschaftlich-technischen Bereich mangelt es an Nachwuchskräften, und zwar vor allem an weiblichen. Dr’in Pia Spangenberger von der TU Berlin hat „Serena Supergreen“ entwickelt. Im Interview berichtet sie über die Einsatzmöglichkeiten digitaler Lernanwendungen, die Potenziale von Serious Games und ihre Vision einer Schule der Zukunft.

Frau Dr’in Spangenberger, an der TU Berlin erforschen Sie digitale Lernanwendungen. Welches Potenzial steckt im digitalen Lernen?

Pia Spangenberger: Digitale Lernanwendungen bieten große Potenziale. Sie können beispielsweise individuelles Feedback für die Spielenden beinhalten und zu einem besseren Verständnis durch grafische Visualisierungen, Simulation und Veränderung von Objekten führen und ermöglichen außerdem ein eigenständiges und auch ortsunabhängiges kollaboratives Lernen. Dazu müssen digitale Lernanwendungen aber ebenso wie analoge Lernumgebungen didaktisch gut aufbereitet sein. So sollten zum Beispiel formulierte Lernziele eng mit den digitalen Optionen und Aufgaben abgestimmt sein und auch der Lernerfolg überprüfbar bleiben. Nur, weil ein digitales Lernmedium genutzt wird, heißt das nämlich nicht, dass automatisch besser gelernt wird.

Im Rahmen von Forschungsprojekten entwickeln Sie sogenannte Serious Games. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Pia Spangenberger: Serious Games unterscheiden sich von typischen Unterhaltungsspielen, da sie neben dem Unterhaltungswert auch ein Bildungsziel verfolgen. Hier gibt es einige Synonyme wie Educational Games, Game-Based Learning oder auch Social Impact Games. Serious Games haben also nicht nur ein Spielziel, sondern auch ein konkretes Lernziel. Sie können den Wissenserwerb oder auch Einstellungs- und Verhaltensveränderungen in unterschiedlichsten Bildungskontexten adressieren, von Gesundheit über Handwerk bis hin zu Zielen einer nachhaltigen Entwicklung.

Sie haben das mehrfach prämierte innovative Forschungsprojekt SERENA initiiert. Im Rahmen des Projektes wurde das Spiel „Serena Supergreen und der abgebrochene Flügel“ entwickelt, das das Interesse von Jugendlichen an technischen Berufen fördern soll. Wie kamen Sie auf die Idee, ein Serious Game zur Berufsorientierung zu entwickeln?

Pia Spangenberger: Die Idee für das Forschungsprojekt ist im Rahmen meiner Dissertation entstanden, in der ich untersucht habe, inwiefern ein Nachhaltigkeitsbezug von technischen Berufen junge Frauen für eine Berufswahl im Windenergiesektor motivieren kann. Auf der Suche nach einem geeigneten Medium zur Vermittlung dieses Nachhaltigkeitsbezugs wurde die Fragestellung meiner Dissertation zu einem breiteren Forschungsvorhaben weiterentwickelt und um digitales Lernen mittels Serious Games ergänzt. In dem interdisziplinären Forschungsteam sollte ein Serious Game entwickelt und dessen Wirkungseffekte auf das Fähigkeitsselbstkonzept von Mädchen im Bereich Technik untersucht werden.

Am Beispiel von „Serena Supergreen“ wird deutlich, welche positiven Effekte Serious Games für eine Berufsorientierung frei von Geschlechterklischees haben können.

Ein wichtiger Ansatz, denn gerade Mädchen und junge Frauen gehen ihrem Interesse an naturwissenschaftlich-technischen Fächern seltener nach, was ein zentraler Grund für den Fachkräftemangel in diesen Bereichen ist. Wo setzt „Serena Supergreen“ an, um Mädchen für technische Berufe zu begeistern?

Pia Spangenberger: Die Berufsorientierung und die damit verknüpfte Berufswahl ist ein sehr komplexer Prozess, der sich über längere Phasen strecken kann. Neben Einflussfaktoren wie den Eltern, dem sozialen Umfeld, Erfahrungen, Talenten und Interessen, spielt das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten eine große Rolle bei der Entscheidung für einen bestimmten Beruf. Am Beispiel von „Serena Supergreen“ wird deutlich, welche positiven Effekte Serious Games für eine Berufsorientierung frei von Geschlechterklischees haben können. Insbesondere junge Frauen können mit dem Spiel an technische Aufgaben herangeführt werden. Sie probieren sich im geschützten Raum aus, frei von Bewertungen durch Andere. Wichtig ist auch die curriculare Einbindung des Spiels, denn diese ermöglicht die Übertragung der im Spiel gemachten Erfahrung in die reale Welt. Zu konkreten Aufgaben im Spiel haben wir zusätzlich Unterrichtskonzepte mit einem hohen Praxisbezug entwickelt. Durch das praktische Ausprobieren berufsrelevanter Aufgaben mit Spielbezug kann eine Erweiterung eigener beruflicher Vorstellungen von jungen Mädchen im Bereich Technik erfolgen.

Ein Grund, weshalb Mädchen und junge Frauen ihrem Interesse an naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen nicht nachgehen, ist eine mangelnde Selbstwirksamkeit. Wie kann ein Computerspiel dem entgegenwirken?

Pia Spangenberger: Die im Spiel implementierten Aufgaben wurden im Rahmen des Forschungsprojekts gemeinsam von Fachdidaktiker*innen, Game-Designer*innen und Lernpsycholog*innen so konzipiert, dass die Spielenden technische Aufgaben erfolgreich meistern können. Feedbackquellen sind die Dialoge im Spiel mit den Freundinnen und anderen Charakteren, um das technische Fähigkeitsselbstkonzept der Spielenden zu stärken und den Spielspaß zu steigern. Alles ist also darauf abgestimmt, Personen mit einem niedrigen Fähigkeitsselbstkonzept dabei zu unterstützen, sich im Spielverlauf technische Aufgaben immer stärker zuzutrauen. Darüber hinaus wurden die Inhalte im Spiel so gewählt, dass Technik vor dem Hintergrund des Nutzens für die Gesellschaft, die soziale Verantwortung und den Nachhaltigkeitsbezug eingesetzt wurde, z.B. zur Ressourcenschonung, zur Zusammenarbeit mit Freundinnen, zum Wohlergehen der Tiere und ganz besonders zur Nutzung Erneuerbarer Energien. Das sind alles Themen, die für junge Menschen bei der Berufswahl heute verstärkt eine Bedeutung haben.

Die Coronapandemie hat verdeutlicht, wie rückständig das deutsche Bildungssystem ist. Wie sähe Ihrer Meinung nach ein zukunftsfähiges Bildungssystem aus? Welche Maßnahmen müssten umgesetzt werden?

Pia Spangenberger: Wenn wir von digitalen Lernumgebungen sprechen, wäre es wünschenswert, dass innovative, digitale und didaktisch gut aufbereitete Ansätze im Schulalltag verankert werden können. Dafür sind bestimmte Voraussetzungen notwendig, allen voran die Schaffung der notwendigen Infrastruktur, die Schulung des Lehrpersonals und eine positive Einstellung der Schulleitung. Hardware und Software kann schnell veralten, muss bezahlt, bedient und auch kritisch bewertet werden. Da braucht es kürzere Entscheidungsprozesse. Wünschenswert wäre außerdem, wenn Schüler*innen an digitalen Lösungen und innovativen Ideen gleichermaßen teilhaben können – unabhängig vom Einkommen der Eltern. Aus meiner Sicht wäre es auch wünschenswert, eine Bildung mit digitalen Lernanwendungen noch stärker mit dem Konzept für eine Bildung für eine nachhaltige Entwicklung zusammenzudenken. Didaktisch gut aufbereitete digitale Lernanwendungen haben das Potenzial, kognitive, sozialemotionale oder behaviorale Veränderungen bei Nutzenden zu initiieren, und sie dabei zu unterstützen verantwortungsvolle, nachhaltige Entscheidungen nicht nur in virtuellen, sondern auch in realen Lebensräumen zu treffen.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Dr’in Pia Spangenberger!

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